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 einleitung 

 »Wie entsteht Kunst?« von Nils Daniel Peiler 

 

Ida Andrae geht in ARBEITSSPUREN KUNST, ihrer Diplomarbeit als Fotodesignerin, einer Frage nach, die allgemein im Verborgenen des Ausstellungsbetriebs liegt: Was passiert eigentlich auf dem Weg von der Idee zum Objekt, bis dieses in einer Galerie, einem Museum, auf einer Auktion auftaucht? Ganz praktisch hat sich Andrae mit ihrer digitalen Spiegelreflexkamera auf die Suche nach etwas höchst Analogem begeben: Der handwerklichen Entstehung von Kunst. Durch 39 Künstlerateliers und Künstlerwerkstätten in Bochum, Witten, Dortmund, Düsseldorf, Berlin, Hamburg, München und Tübingen ist Andrae quer durch die Republik gereist, um ihre eigene, fotografische Antwort auf die Frage »Wie entsteht Kunst?« zu finden. 

Ihren Bildern beigestellt antworten die besuchten Künstler selbst schriftlich in dieser Publikation, die 28 der besuchten Ateliers versammelt, wodurch sich ein spannungsgeladenes Wechselspiel zwischen Bild und Text ergibt. Der Werktitel der ARBEITSSPUREN KUNST, die unverbundene Aneinanderreihung der Begriffe, lässt zudem vielfältige Lesarten und Zusammenstellungen, wie etwa »Arbeitsspuren von Kunst«, »Arbeits-spuren als Kunst« oder »die Kunst der Arbeitsspuren«, zu. 

 

Die Fotos der Ateliers kommen ohne die Abbildung ihrer Künstler aus - der Mensch ist nur indirekt durch seine Spuren sichtbar. Auch verrät uns Andrae mit Absicht nicht, welche Personen sich hinter welchen Atelieraufnahmen verbergen und vermeidet damit gemeinhin eine Vorprägung, etwa durch den Bekanntheits-grad eines Künstlernamens. Dieses imaginative Potential der Aufnahmen lässt die Beziehungen im Kopf des Betrachters ergänzen: Wer arbeitet hier? Welche Rückschlüsse lassen sich aus den Objekten auf die Persönlichkeit ziehen? 

Der intime Atelierbesuch wird zum fotografischen Rätsel: Durch die beigestellten Zitate wird der Be-trachter erst noch angefüttert, um die Bilder im Kopf »fertig zu stellen«. Das Faible der Fotodesignerin für Interieur- und Architekturaufnahmen, aber auch die Faszination für Mystisches und Geheimnisvolles kommen somit bei den ARBEITSSPUREN KUNST voll zum Tragen. 

 

Wie ein geometrisches Raster legt sich Ida Andraes ordnender, ruhiger Blick über die Innenansichten der Ateliers. Er verlagert beispielsweise Candida Höfers oft monumentale Interieurs öffentlicher Orte ins Private des Ateliers, geht jedoch näher heran und gestattet auch einem Waschbecken mit Farbspritzern ein Solobild, das einen Nachhall auf Jeff Walls Objektkompositionen wachruft. Andrae betrachtet sich selbst unter den Vor- und Nachbildern von Alejandra Laviada, Carl Kleiner, Carrie Schneider und Jacob van Loon.

 

Ihre hellen, lichten Atelierfotografien, als Weiterentwicklung der früheren Serie LEHRRÄUME, LEERRÄUME, sind durch ihre großzügige Anordnung im Buch mit viel weißem Spielraum auch metaphorisch als Anspielung auf die klassische Ausstellungssituation des White Cube zu verstehen und nutzen auf malerische Weise das einbrechende und reflektierende Licht der Fenster sowie die dadurch vor Ort entstehenden Stimmungen. 

 

ARBEITSSPUREN KUNST betont die Bildachsen derart, dass der Betrachter angesichts der Perspektive, der nach oben strebenden Vertikalen und der Anordnung einiger Aufnahmen beinahe den Eindruck hat, aus dem Buch in die Höhe zu entschweben. Diese geometrische Ordnung im kreativen Chaos arbeitet die makellose Schönheit der Arbeitsspuren heraus, die als Relikte das Kunstwerk nicht vom Produkt, sondern von seiner Genese her in den Blick nehmen. Die ergänzenden und gliedernden, über beide Seiten im Vollformat überlaufenden Details der Arbeitsspuren können auch als Luftaufnahmen umgelesen werden. Diese »Landschaften des Ateliers« scheinen ihren Maßstab abgelegt zu haben: Aus Tubenklecksen sind in der Vogelperspektive Seen, aus Holzspänen Hügelformationen, aus bearbeiteten Steinoberflächen Eisschollen-felder geworden.

 

So reihen sich Ida Andraes ARBEITSSPUREN KUNST in eine aktuell wiederbelebte Beschäftigung mit der handwerklichen Kunstgenese ein, wie sie von der Kunstpublizistik beispielsweise mit einem eigenem Band des Kunstforums International »Das Atelier als Manifest« (Band 208, Juni 2011) bedacht wurde oder im Zentrum von Ausstellungen stand wie »Raum für Kunst. Künstlerateliers in Charlottenburg« (Georg Kolbe Museum, 2005-2006), »Déjà-vu – Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis Youtube« (Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, 2012) oder »Mythos Atelier« (Staatsgalerie Stuttgart, 2012-2013). Mit ihren Atelierer-kundungen greift Andrae zudem ein gegenwärtig wieder virulentes Interesse am fotografischen Ort auf, wie es sich unter anderem in der Ausstellung »LOST PLACES. Orte der Fotografie« (Hamburger Kunsthalle, 2012) ausdrückte. 

 

 

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